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GAIA Musikfestival - Förderung neuer Grundwerte in der klassischen Musik (Lesezeit: 3 Minuten)

Die Welt, in der ich mich bewege – die klassische Musik – steckt voller inspirierender und aufregender Künstlerinnen und Künstler. Hier sprudelt es nur so vor Ideen. Trotzdem – oder gerade deshalb – sind dafür, wie klassische Musik weiterhin ausgeübt wird und wie man sie vermarktet, viele Faktoren zu bedenken.

Zunächst zum Marketing: Wenn ich sehe, wie die klassische Musik und diejenigen, die sie spielen, in der Öffentlichkeit dargestellt werden, stelle ich fest, dass wir derselben irreführenden oder irrelevanten Art der Information zum Opfer fallen wie beispielsweise die Filmindustrie. Warum gibt es so viele Anzeigen für Konzerte oder Plattencover, die entweder Musikerinnen und Musiker auf grelle Weise hypersexualisieren oder eher unspektakulären Lerneifer transportieren? Warum erfahre ich mehr über die Bühnenoutfits mancher der heutigen Künstlerinnen und Künstler als über ihre persönlichen Geschichten? Warum herrscht wachsender Jugendwahn, obwohl die grossartigsten Interpretationen klassischer Musik kaum je von Sechsjährigen stammten? Warum wird die Leistung eines Künstlers oder einer Künstlerin eher an der Quantität als an der Qualität seines oder ihres Schaffens gemessen?

Nun zur Ausübung der klassischen Musik: Abgesehen von der Erfüllung, die sie schenkt, ist die klassische Musik als Beruf vor allem dafür berüchtigt, dass sie sich auf die Defizite und Fehler von Musikerinnen und Musikern konzentriert und keineswegs ein motivierendes Umfeld schafft, in dem Innovation und Fantasie gedeihen. Den Anfang macht bereits die wöchentliche Unterrichtsstunde. Sie gilt traditionell als ein vorteilhaftes Setting, weil hier Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler persönlich unterrichten. Jedoch widmet man sich innerhalb der begrenzten Zeit eher dem Finden von Fehlern innerhalb eines vorgetragenen Stücks und greift weniger besonderes Können heraus, das es verdienen würde, weiter vertieft zu werden. Nichts geht über Makellosigkeit. Die Ansätze für die Ausübung der klassischen Musik und ihre Vermarktung haben eines gemeinsam: Sie spiegeln eine Branche wider, die nicht nur mit ihrer Bestimmung zu kämpfen hat, sondern auch mit ihrer Unfähigkeit, die Umgebung zu schaffen, in der die Kunst ihr Ziel erreicht: Menschen sich selbst und anderen näherzubringen.

Was wir brauchen, sind neue Grundwerte in der klassischen Musik. Wir müssen uns gegen die Normen der Branche wehren und gleichzeitig die Traditionen, die Geschichte und den Einfluss der klassischen Musik würdigen. Wie können wir das erreichen? Beim GAIA Musikfestival bat man uns um eine Zusammenfassung dessen, was wir in all den Jahren getan haben – ausser mitreissende Live-Konzerte mit einigen der besten Musikerinnen und Musiker, die wir finden konnten, auf die Bühne zu bringen. Daraufhin haben wir unsere Arbeit rekapituliert und dabei festgestellt, dass wir grundlegende Werte und Standards aufrechterhalten und gleichzeitig die Gemeinschaft und die Verbindung fördern.

Gwendolyn Masin GAIA Music Festival Gwendolyn Masin

Hier ein Ausschnitt unserer Arbeit bei GAIA:

Wir würdigen konsequent die Rolle jedes Einzelnen in der klassischen Musik.

Deshalb ist es für uns selbstverständlich, nicht nur besonders interessante Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren, sondern auch Menschen in all ihrer Diversität und mit unterschiedlichem Hintergrund. Mit einem weitaus geringeren Budget als viele andere Festivals in der Schweiz konnten wir bis heute Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 54 Ländern begrüssen und uns über Publikum aus ganz Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten, Australien, Südafrika und Asien freuen (und vielleicht auch noch aus anderen Regionen, was ebenso wunderbar ist).

Wir gehen zurück zu einer breiten Palette unterschiedlicher Kunstrichtungen.

Wer sich heutzutage um öffentliche Fördermittel bewirbt, findet eine Fülle von Ausschreibungen für interdisziplinäre und multimediale Projekte. Und obwohl sie allgegenwärtig sind, bleiben sie in unserem ohnehin schon nischenhaften Bereich der klassischen Musik eher selten. Studierende klassische Musikerinnen und Musiker, die auftreten wollen, sind oftmals mit einem überfüllten Stundenplan konfrontiert, so dass ihnen für Konzerte kaum Zeit bleibt. Hinzu kommt, dass in einigen Bereichen ein Interesse, das über das Instrumentalspiel hinausgeht, als Nachteil angesehen wird. Bei GAIA schaffen und fördern wir interdisziplinäre Projekte und geben jedes Jahr neue Musik in Auftrag.

Wir stärken das Selbstvertrauen unserer Musikerinnen und Musiker.

Vielen Menschen fällt es nicht leicht, ihre eigene Identität zu definieren, unabhängig davon, ob sie von Faktoren wie Herkunft, Glaube oder Geschlecht geprägt ist, um nur einige zu nennen. In der klassischen Musik sind viele Musikerinnen und Musiker in enger Verbindung mit ihrem Instrument aufgewachsen, weshalb es für ihre Identität eine wesentliche Rolle spielt. Während die meisten Menschen als Teenagerinnen und Teenager nach Unabhängigkeit und Freiheit streben, verbringen Musikerinnern und Musiker ihre Zeit zwischen Schule, Übungsraum, Unterricht und Bühne. Da bleibt wenig Zeit für Selbsterforschung oder Reflexion, was im späteren Leben zu verschiedenen Formen von Ängsten führen kann – vom Bedürfnis nach ständiger Bestätigung bis zur Unfähigkeit, die eigene Autonomie aufzubauen. Bei GAIA bieten wir ein unterstützendes Umfeld, das auf Menschlichkeit baut.

Wir beseitigen festgefahrene Kastensysteme, die den Wert von Musikerinnen und Musikern mit dem Preis ihres Instruments gleichsetzen.

Wer die spekulative Natur des Kunst- und Antiquitätenmarktes kennt, für den ist dieser Ansatz offensichtlich. Musikerinnen und Musiker brauchen einen lebenslangen Begleiter und keine millionenschwere Last, der man mit Mühe Töne entlockt. Für dieses Jahr geht GAIA eine Kooperation mit der Brienzer Geigenbauschule ein, um vielversprechenden Geigenbauerinnen und Geigenbauern in der Region die Möglichkeit zu geben, ihre Instrumente von Musikerinnen und Musikern spielen zu lassen, die in diesem Bereich am meisten Unterstützung brauchen.

Wir lehnen den Jugendwahn der Branche ab.

GAIA hatte das Privileg, einige der Heldinnen und Helden unseres Berufs begrüssen zu dürfen. Unter anderem standen Shmuel Ashkenasi (83), Gérard Caussé (75), Peter Frankl (89), Heidi Maria Glössner (80), Lukas Hartmann (79), Frans Helmerson (79), und Igor Ozim (92) mit uns auf der Bühne. Gleichzeitig fördern wir junge Talente. Jedes Jahr sind einige unserer eingeladenen Musikerinnen und Musiker noch mitten im Studium. Die Zusammenarbeit während des Festivals und das gemeinsame Spiel dient gleichermassen als generationenübergreifende Plattform wie auch der Ausbildung.

Wir unterstützen uns gegenseitig.

Ausübenden Musikerinnen und Musikern werden auf ihrem Weg viele Möglichkeiten geboten – ein Training in der Kunst der Kommunikation ist meist allerdings nicht dabei. So redet man leider noch immer eher übereinander als miteinander. Seit unserem ersten Festival im Jahr 2006 fördert GAIA ein kollegiales Umfeld mit flachen Hierarchien. Die Musikerinnen und Musiker treffen bereits einige Tage vor dem ersten Konzert ein, um gemeinsam zu arbeiten, zu proben und Kontakte zu knüpfen. Das ist unser Modell. Nicht nur, weil es Spass macht und produktiv ist, sondern auch, weil die Zeit, die wir uns füreinander nehmen, Verständnis und Empathie fördert – Eckpfeiler aller Gesellschaften. Wir respektieren einander, geben unser Bestes und erinnern uns gegenseitig daran, dass es Menschen sind, die Kunst schaffen.